Der Mond ist aufgegangen,
die goldnen Sternlein prangen
am Himmel hell und klar;
der Wald steht schwarz und schweiget,
und aus den Wiesen steiget
der weiße Nebel wunderbar.
Wie ist die Welt so stille
und in der Dämmrung Hülle
so traulich und so hold!
Als eine stille Kammer,
wo ihr des Tages Jammer
verschlafen und vergessen sollt.
Seht ihr den Mond dort stehen? –
Er ist nur halb zu sehen
und ist doch rund und schön!
So sind wohl manche Sachen,
die wir getrost belachen,
weil unsre Augen sie nicht sehn.
Wir stolze Menschenkinder
sind eitel arme Sünder
und wissen gar nicht viel;
wir spinnen Luftgespinste
und suchen viele Künste
und kommen weiter von dem Ziel.
Gott, lass uns dein Heil schauen,
auf nichts Vergänglichs trauen,
nicht Eitelkeit uns freun!
Lass uns einfältig werden
und vor dir hier auf Erden
wie Kinder fromm und fröhlich sein!
Wollst endlich sonder Grämen
aus dieser Welt uns nehmen
durch einen sanften Tod!
Und, wenn du uns genommen,
lass uns in Himmel kommen,
Du unser Herr und unser Gott!
So legt euch denn, ihr Brüder,
in Gottes Namen nieder;
kalt ist der Abendhauch.
Verschon uns, Gott! mit Strafen,
Und lass uns ruhig schlafen!
Und unsern kranken Nachbar auch!
Matthias Claudius (1740 - 1815) gilt als begnadeter Lyriker. Vor allem in seinen späten Jahren überwiegen christliche Themen. In seinen Gedichten greift er immer wieder auf Bilder aus der Natur zurück, die er als Schöpfung Gottes sieht und erlebt. Er wendet sich gegen einen Rationalismus, in dem die Ratio, die Vernunft, das naturwissenschaftlich Objektivierbare zum Maßstab aller Dinge wird und gleitet dabei manchmal ins romantisch-schwärmerische hinüber. Ungeachtet dessen erreicht er damit das Empfinden des Menschen.
Er gehört zu der gesellschaftlichen Gesamtbewegung, die sich im 19. Jahrhundert in der Romantik als Gegenbewegung zu einer objektiv und rational verstandenen Welt Bahn brach, weil letztere dem Menschen einfach nicht gerecht wird.
Unserer heutigen, rationalen, teils naturwissenschaftsgläubigen Zeit kann die Verknüpfung von Natur, Gefühl - auch der Glaube gehört dazu - wichtige Impulse geben, denn im Rationalen, im Objektiven finden sich weder Gott, noch das Humanum, noch der Sinn des Lebens. Mensch sein in seiner ganzen Tiefe lebt vom Spüren, Fühlen, von der Innerlichkeit, was sich naturwissenschaftlich und rational eben nicht erfassen lässt. Wir erahnen etwas von einer größeren Wirklichkeit, wenn wir Weisheiten wie "Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile!" formulieren.
Solches Empfinden der Natur bewegte mich, als ich auf der Jagd die im Video 2017 festgehaltene Morgenstimmung erlebte. Natur, verstanden als Schöpfung, ist mehr als Materie, ist eine Grundlage, ist Rahmen unseres Lebens. Und wir sind Teil der Natur, Teil der Schöpfung.
Eingestellt: 180629
Aktualisiert: 180703
© W. Kornder