Mystik

 

Der Begriff „Mystik“ kommt vom griechischen „myein“ = „Augen oder Lippen schließen“. In der Stille wendet sich der Mystiker nach innen, um eins zu werden mit sich selbst, mit dem Urgrund des Lebens, mit Gott. In der christlichen Theologie findet sich als Endpunkt die „unio mystica“ = „das Einwerden mit dem Absoluten, mit Gott“. Dies scheint z.B. bei Paulus an vielen Stellen bei dem Gedanken des „in Christus-Seins“ auf, z.B. Gal. 2,20: „Ich lebe, aber nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir“.

 

Mystische Strömungen gibt es in allen Religionen. Zentral sind die Erfahrungen, die sich über Religionsgrenzen hinweg ähneln oder decken. Diese Erfahrungen reden in Bildern und Symbolen und spiegeln sich im Leben der Mystiker wieder. Theoretisch-dogmatisch, also rational lassen sie sich naturgemäß nicht fassen, genau so wenig, wie sich ein unendlicher, ewiger Gott begrifflich-rational fassen lässt.

 

Dag Hammarskjöld

Dag Hammarskjöld war Generalsekretär der UNO. Er wurde in dieser Mission 1961 über dem Kongo abgeschossen. Nach seinem Tod wurde sein Tagebuch veröffentlicht und in 15 Sprachen übersetzt. Zur Überraschung für die gesamte Welt zeigte sich der kühle Lutheraner darin als tiefgründiger christlicher Mystiker, der seine Kraft und Umsicht aus seiner meditativen Lebenshaltung schöpfte. Eines seiner berühmtesten Gedichte beschreibt die Kontemplation.

 

Die längste Reise ist die Reise nach innen

(Dag Hammarskjöld, bearbeitet)

Ich sitze hier vor dir, Herr, aufrecht und entspannt, mit geradem Rückgrat.

Ich lasse mein Gewicht senkrecht durch meinen Körper hinuntersinken auf den Boden, auf dem ich sitze. Ich halte meinen Geist fest in meinem Körper.

Ich widerstehe seinem Drang, aus dem Fenster zu entweichen,

an jedem anderen Ort zu sein als an diesem hier,

in der Zeit nach vorn und hinten auszuweichen, um der Gegenwart zu entkommen.

Sanft und fest halte ich meinen Geist dort, wo mein Körper ist:

hier in diesem Raum.

 

In diesem gegenwärtigen Augenblick lasse ich alle meine Pläne, Sorgen und Ängste los.

Ich lege sie jetzt in deine Hände, Herr.

Ich lockere den Griff, mit dem ich sie halte, und lasse sie dir.

Für den Augenblick überlasse ich sie dir.

Ich warte auf dich, passiv und erwartungsvoll.

 

Du kommst auf mich zu, und ich lasse mich von dir tragen.

Ich beginne die Reise nach innen.

Ich reise in mich hinein zum innersten Kern meines Seins, wo du wohnst.

An diesem tiefsten Punkt meines Wesens bist du immer schon vor mir da,

schaffst und stärkst ohne Unterlass meine ganze Person.

Gott, du bist dynamisch.

Du bist in mir.

Du bist hier.

Du bist jetzt.

Du bist.

Du bist der Grund meines Seins.

 

Ich lasse los. Ich sinke und versinke in dir.

Du überflutest mein Wesen. Du nimmst von mir Besitz.

Ich lasse meinen Atem zu diesem Gebet der Unterwerfung unter dich werden.

Mein Atmen, mein Ein- und Ausatmen, ist Ausdruck meines ganzen Wesens.

Ich tue es für dich, mit dir, in dir ...

Wir atmen miteinander

 

Letzte Aktualisierung 141227