Sterben – die letzte Kontemplation

 

Angeregt durch einen Sterbefall in unserer Familie wurde mir die Wesensgleichheit von Sterben und Kontemplation bewusst. Davon will ich kurz schreiben.

 

In vielen Fällen laufen beim Sterben Prozesse ab, die sich in der Schweigemeditation finden, und zwar beidseitig, auf Seiten des Sterbenden und der Sterbebegleiter. Ich schreibe das wohl wissend, dass niemand von uns in einen sterbenden Menschen hineinschauen kann. Aber wir können wahrnehmen, haben einen Eindruck von dem, was da abläuft:

 

- Ein Mensch, der seinen Tod spürt und über Tage, vielleicht auch Wochen, darauf zugeht, wird immer stiller, kann irgendwann nicht mehr sprechen. Auch die Wahrnehmung der Außenwelt mit den Augen wird immer weniger. Das Äußere tritt zurück.

 

- Die Begleiter des Sterbeprozesses sind zwangsläufig darauf geworfen, immer weniger zu reden. Die sprachliche Kommunikation tritt zurück, - sollte zurück treten. Wenige Worte, um anzudeuten, dass man da ist. Berührungen. Solange Sterbende noch reagieren können, öffnen sie z.B. kurz die Augen, versuchen zu sprechen, bewegen Finger oder Hand, reagieren mit dem Gesichtsausdruck. Wenn noch möglich, lächeln sie.

 

- Der sterbende Mensch und die Begleiter finden sich weitgehend im Schweigen ein. Hier geschieht Klärung. Hier wird der Mensch "leer" von dem Äußeren, von dem, was z.B. Johannes Tauler bezüglich der Kontemplation beschreibt:

 

Wenn der Mensch in der Übung der inneren Einkehr steht,

hat das menschliche Ich für sich selbst nichts.

Das Ich hätte gerne etwas,

und es wüsste gerne etwas,

und es wollte gerne etwas.

 

Besitz, Wissen, Ziele spielen keine Rolle mehr. Das Wesentliche geschieht, ereignet sich. Auch die Sterbebegleiter, z.B. Familienangehörige, erleben dies. Im schweigenden Betrachten, im „Schauen“ (das lateinishce Wort contemplari heißt "schauen", "betrachten") setzt sich die ganze Unruhe, klärt sich die Beziehung, wird etwas von dem spürbar, was sich nicht mehr in Worte fassen, mit Besitz nicht festigen, mit Wissen nicht erklären, auch mit einem festen Willen nicht erreichen lässt.

 

Dort, wo dieser Prozess laufen kann, werden Menschen ruhig und zufrieden hinübergehen und „Gott schauen“. Und die Menschen, die am Sterbebett verweilten, werden innerlich ruhig und gefasst, irgendwie berührt wieder hinaus ins Leben gehen, so wie nach einer tiefen, intensiven Kontemplationseinheit.

 

Bis dieses dreifache „etwas“ in ihm stirbt,

kommt es den Menschen gar sauer an.

Das geht nicht an einem Tag

Und auch nicht in kurzer Zeit.

Man muss dabei aushalten,

dann wird es zuletzt leicht und lustvoll.

 

Sterben ist in seiner Grundstruktur eine „Kontemplation“, das „Schauen des Göttlichen“, Erweiterung unseres Bewusstseins. Wenn das gelingt geschieht Gnade.

 

Aktualisiert: 160705