"Mein Herr und mein Gott!" (Joh 20, 19ff)

 

Es gibt eine ganze Reihe von Erfahrungen, von Durchbrüchen des Transzendenten, die sich in der Bibel finden. Klassisch ist für mich die Taufe Jesu. Darüber vielleicht ein andermal.

 

Auch an weniger bekannten Stellen drängt sich mir die Interpretation als Erleuchtungserlebnis auf, so z.B. in der Erfahrung des „ungläubigen Thomas“ (Joh. 20, 19ff), über die ich am 12. April 2015 predigte.  

 

Die Geschichte vom ungläubigen Thomas kennen wir alle. Und ich denke, wir verstehen den Thomas, denn wohl niemand wird etwa „Auferstehung“ einfach so glauben. - Nichts anderes tut Thomas! Und deshalb pocht er auf etwas Nachprüfbares, Beweisbares, Rationales.

 

Nach der ersten Begegnung mit Jesus hat sich vielleicht der Eine oder Andere gefragt: "haben wir uns das allesamt nicht nur eingebildet, weil wir mit den Nerven am Ende waren, weil wir einfach down und fertig waren?" Das „Friede sei mit euch!“ (V26) unterstreicht diese Atmosphäre, die unter den Jüngern in der verschlossenen Kammer geherrscht haben könnte. Die waren alles andere als „in Frieden“. Die waren verunsichert, die waren durcheinander, durch den Wind, wie man so schön sagt. Die waren durch die ganzen Ereignisse im Ausnahmezustand. Wahrscheinlich waren sie durch den zweifelnden Thomas zusätzlich verunsichert worden.

 

Und da hinein spricht Jesus Thomas, oder besser Thomas als den Typus des Zweiflers, an:

27 Danach spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!

28 Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott!

 

Es wird an keiner Stelle berichtet, dass Thomas der Aufforderung nachgekommen ist. Thomas sieht. Die Jünger sehen. Und Thomas hört und die Anderen hören. Aber nur Thomas bringt es auf den Punkt.

 

Thomas ist sich sicher nach der ersten Erscheinung Jesu, die ohne ihn ablief, ausgegrenzt und übergangen vorgekommen. Er hat sich sicher seine Gedanken gemacht über das, was die anderen mit ihrem Erfahrungsvorsprung berichteten. Und das hat in ihm gearbeitet. Thomas war an diesem Thema dran, war bei dem, was die anderen erlebt hatten, was sich da angeblich ereignet hatte. Viel Nachdenken, viel Kraft und Energie hat er darauf verwendet, ohne zum Unbegreiflichen durchzubrechen. Und mit dieser unbewussten Vorbereitung erlebt er nun die Erscheinung Jesu selbst, sozusagen life. Und hier kommt es zum Durchbruch:

28 Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott!

 

Da liegt alles drinnen: Er allein begreift die Sonderstellung Jesu. Er begreift, dass da nicht mehr der frühere Weggefährte war, mit dem man sich einfach so von Mann zu Mann unter seinesgleichen unterhalten hat. Da geht es um eine ganz andere Ebene, um eine Ebene jenseits des Rationalen. So reden Christen, denen in der Begegnung mit Christus ein inneres Licht aufgegangen ist. Thomas erschöpft sich nicht in der Beschreibung des Erlebnisses, wie wir es bei vielen anderen biblischen Auferstehungsgeschichten vorfinden; er begreift einen tieferen Zusammenhang. Er begreift das Unbegreifliche und bringt das mit den wenigen Worten auf den Punkt: Mein Herr und mein Gott!

 

Damit stellt er das Geschehen in eine Zuordnung zu und unter den alles umfassenden "Herrn" (griechisch "kyrios", eine Bezeichnung, die dem damaligen römischen Kaiser galt, dem obersten Herrn des römischen Reiches, die verändert auf Jesus übertragen wurde; vgl. "Kyrie eleiison") und "Gott" ("theos"), der als letzte Instanz alles umfasst und in sich fasst.

 

 Aktualisiert: 150502