Der Moderator Christian Teppe bei der Eröffnung
Der Moderator Christian Teppe bei der Eröffnung

 

Süddeutsche Rotwildtagung 2023

Bericht und Kommentar von Dr. Wolfgang Kornder

 

 

Isny im Allgäu

Moderation: Christian Teppe

Samstag 25.03.2023

09:00 bis ca. 16:30 Uhr

 

 

 

 

Die Veranstaltung zum Rotwild sollte derzeitige Problembereiche mit dem Rotwild thematisieren. Das ist m.E. auch gelungen. Im Zentrum stand dabei die Genverarmung.

Aus der Ankündigung: „Die per Gesetz definierten rotwildfreien Gebiete, die Zerschneidung der Landschaft durch Verkehr, Siedlungen, Zäune etc. sind deutschlandweit ein großes Problem und verhindern den überlebenswichtigen Genfluss zwischen den Rotwildpopulationen.“

 

Vor idyllischer Kulisse trafen sich wesentlich eher traditionelle Jäger:innen. Meine Wenigkeit war wohl die Ausnahme aus dem waldfreundlich jagenden Lager. Ich entdeckte niemanden, der jagdlich öjv-affin unterwegs war. Mit dabei war Frau Dr. Sutor vom DJV, Vertreter des Tierschutzes wie Tessy Lödermann, Dr. Christine Miller von Wildem Bayern e.V., Hochwildhegeringleiter, Vertreter von Verbänden wie Netzwerk Wald mit Wild oder dem LBV, Buchautoren … Vertreter aus Politik und Verwaltung nenne ich in der Einleitung.

 

Die Referate fand ich großteils sehr interessant. Sicher wird es ausführliche Berichte dazu geben. Die Veranstaltung soll gestreamt, die Referate als pdf veröffentlicht werden. Ich verzichte allein schon deshalb auf eine umfassende Berichterstattung und bringe im Folgenden das, was bei mir hängen blieb.

 

 

9:00 Einleitung: Chr. Teppe

 

Chr. Teppe begrüßte die politischen, Verwaltungs- und Verbändevertreter, die wesentlich aus Baden-Württemberg (z.B. Felix Reining, Jörg Ziegler, Reinhold Pix (Bündnis 90/Die Grünen, MdL ), Sarah Schweizer (CDU,MdL)) kamen. Aus Bayern war lediglich der Grünen-Abgeordnete Chr. Hierneis angekündigt, der aber kurzfristig absagen musste.

 

„Stein des Anstoßes“ seien die Rotwildgebietsverordnungen aus Baden-Württemberg von 1959 und Bayern 1983. Aufgrund von Artikel 20a des Grundgesetzes (GG) seien durch die Aufnahme des Tierschutzes 2002 neue Schwerpunktsetzungen erfolgt, die zur Auflösung dieser Rotwildgebiete führen müssten. Die „Administration“ dazu  liege bei den Jägern (die juristische Grundlage dazu habe ich nicht richtig erfasst).

 

 

 

 

Begrüßung: Dr. J. Friedmann & Präsident E. Weidenbusch

 

Dr. Friedmann

Die Rotwildgebiete in Baden-Württemberg (4% der Fläche) und Bayern (14%) seien sehr gering und nicht mehr akzeptabel. Der Stadtstaat Hamburg habe mehr Rotwild als Baden-Württemberg.

 

Friedmann verwies mittels einer PP-Folie auf eine Annonce von Forst BW, in der offensichtlich undifferenziert Rotwildjäger gesucht wurden. Das sei fragwürdig, da die Rotwildbejagung sehr viel Erfahrung voraussetze und nicht von jedermann geleistet werden könne.

 

In Schönbuch sei vor kurzem eine Unterkieferverkürzung erstmals dokumentiert worden, das Problem der Genverarmung offensichtlich angekommen.

 

 

Ernst Weidenbusch

In Bayern liege dieselbe Problemlage vor wie in Baden-Württemberg. Die Politik müsse hier einsteigen. Deshalb habe er vor Kurzem eine Gen-Untersuchung durch die LMU aus Mitteln der Forschungsgelder, nicht der Jagdabgabe, erwirkt (Schreiben dazu von Ministerin Kaniber war auf der Folie). 

 

Die Tagung sei bereits vor Beginn ein voller Erfolg.

 

Er verwies auf „Feinde des Rotwildes“, womit er den amerikanischen Leberegel und den Wolf meinte. Beide unterlägen keiner Begrenzung. Das Rotwild müsse die gleichen Ausbreitungswege bekommen wie diese.

 

Die Grundlage bei der Einrichtung der Rotwildgebiete seien die Schäden im Wald gewesen, die es nach wie vor gebe. Hier müsse man zwischen vermeidbaren und unvermeidbaren unterscheiden, bei den unvermeidbaren auch die Schadensersatzfrage diskutieren. 

 

Grundbesitzer, Jäger und Politik müssen miteinander reden, schließlich gehören die Staatswälder „uns“. Die Staatsforsten hätten lediglich einen Bewirtschaftungsauftrag.

Die Gesellschaft „wird in ganz großer Breite in Zukunft für viele, viele Generationen“ Rotwild sehen wollen. So sei heute der Beginn einer großen Aufgabe.

 

Der Klimawandel erfordere klimastabile Wälder, war ein kurz angerissener abschließender Gedanke.

 

 

09:15-10:00 Natürliche Verhaltensweisen des Rotwildes – Grundlage für ein verantwortungsvolles Wildtiermanagement. Dr. Andreas Kinser

 

Dr. Kinser verwies darauf, dass Wildtiermanagement nicht identisch mit Jagd sei. Die Jagd gehöre aber zu den Werkzeugen des Wildtiermanagements.

Wesentlich sein der Tierschutz und das damit festgelegte „Wohlbefinden“ der Tiere (§1 Tierschutzgesetz), das sich im BJagdG in den Bereichen Schutz der Elterntiere (§22), den Nachsuchenvereinbarungen (§22), der Kaliberwahl (§19) und dem Verbot der Hatzjagd (§19) finde. Es würden heute aber noch die Themen Lebensraumanspruch, Sozialstruktur und Aktivitätsmuster fehlen.

 

Rotwild mache weite Wanderungen wie Wildkatze und Wolf. Viele Waldflächen seien aber No-Go-Areas. In Bayern gebe es viele Abschüsse in rotwildfreien Gebieten.

Die ökologische Bedeutung von Huftieren liege in der Samenverbreitung bei den Wanderungen.

 

Rotwild könne Störungen sehr gut unterscheiden. Waldmaschinen würden ganz anders wahrgenommen wie Tourismus und insbesondere die Jagd, die die intensivste Störung sei. Mit Hinweis auf Prof . Arnold thematisierte er dazu den Energieverbrauch, die Körpertemperatur und die Herzfrequenz bei Störungen vor allem im Winter.

 

Rotwild sei kein Nachttier, das könne man in Bereichen Schleswig-Holsteins oder im Truppenübungsplatz Grafenwöhr gut beobachten.

 

Eine wildökologische Raumplanung sei unerlässlich. Kahle Fichtenforsten böten hier ein ganz anderes Bild als strukturreichere Gebiete. Je nachdem welche Gebiete man betrachte, seien Wildäsungsflächen unerlässlich, auf denen dann auch Waldbäume wie Fichten verbissen werden dürfen.

 

Sozial sei eine Rudelstruktur bestehend aus mehreren Familien sinnvoll. Je größer das Rudel ist, desto ungestörter könne der Großteil des Rudels äsen, während einige wenige Stücke sichern.

 

Der „Elterntierschutz“ sei bei der langen Bindungs- und Säugezeit (9 Monate, in Ausnahmefällen auch länger) unbedingt einzuhalten.

 

 

10:00 – 11:00 Isolation und genetische Engpässe beim Rotwild - Folgen und Lösungsansätze. Julian Laumeier (Uni Gießen)

 

Laumeier, der für den verhinderten Prof. Dr. Dr. Reiner einsprang, arbeitet in seiner Dissertation an einer Mega-Studie zum Rotwild in Nordrhein-Westfalen und Hessen mit 2400 Tieren.

 

75.000 Stück Rotwild werden in Deutschland jährlich erlegt. Der Bestand dürfte bei 200.000 liegen. Die Wildart scheint nicht gefährdet und dennoch gebe es genetisch gesehen gravierende Probleme.

 

Genetische Vielfalt müsse man sich wie einen Werkzeugkasten, etwa wie einen Bitsatz, vorstellen. Gene differenzieren sich wiederum in Allele (unterschiedliche Merkmalsausprägung eines Gens).

 

Vor allem bei kleineren Populationen wird die Defektverbreitung höher. Der Inzuchtkoeffizient sinkt dann auf 20 % bei einem Vater-Tochterverhältnis. Besonders im schleswig-hollstein´schen Hasselbusch könne das deutlich beobachtet werden. Irgendwann versage dann die Selbstkorrektur. Eine effektive Populationsgröße sollte nicht unter 100, eher bei mind. 500 Tieren liegen.

Ziel sei es, möglichst viele genetische Möglichkeiten in einer Population zu haben.

Ist eine Population degeneriert, helfe auch die Vergrößerung der Population nicht mehr weiter, da einfach Genmöglichkeiten fehlen. Deshalb sei das Vernetzen alternativlos.

 

Es finden sich natürlicherweise auch lokale Populationen. Diese können sich, wie im  gegatterten Reichswald-Nordeifel,  in einer sehr schlechten Gen- Situation befinden, ohne dass bislang Missbildungen beobachtet wurden. Im Spessart hingegen „sehe es ziemlich gut aus“.  Dort, wo es zu eng werde, müsste eine Vernetzung oder eine Wiedervernetzung erfolgen.

Dazu müssen Politik und Jäger aktiv werden. Für Jäger würde das z.B. bedeuten, junge Hirsche zu schonen und in Korridoren wandern zu lassen. Dazu müsste das „mein“ Rotwild-Denken abgebaut werden. Es sollten weniger Hirsche geschossen werden, denn darin liege eine Teufelsspirale: wer nur Hirsche schießt, heizt die Populationsstärke an. Und je mehr Hirsche da wären, desto häufiger kämen auch Hirsche neben dem Platzhirsch zur Paarung und würden so den Genaustausch verbreitern.

 

Man müsse die Lebensraumqualität nicht aufwerten. Das löse die Probleme nicht. Und solange man Ärger in den Rotwildgebieten habe, solange dürfte es in den rotwildfreien Gebieten keinen Erfolg geben. Es gehe darum effizienter zu jagen, statt Lebensraumverbesserungen zu machen.

 

Im Nord(-Osten) klappe die Vernetzung besser, da seien die Rotwilddichten aber geringer. Im Süden sei das stärker ein „Neidthema“. In Bayern seien der Bayerische Wald und die Alpenregion zum Norden hin isoliert. Aber sowohl die Alpen und auch der Bayerische Wald hätten enormes Hinterland, so dass keine Genverarmung zu befürchten sei.

 

Diskussion (in Auszügen):

-       Genprobe: Für eine Probe könne alles genommen werden, vom Geweih bis zum Fleisch. Eine Probe koste ca. 30 €.

-       Möglichkeiten für Gegenmaßnahmen: Korridore seinen sehr sinnvoll, das Aussetzen von Rotwild nicht.

 

 

11:00 - 11:30 Kaffeepause

 

 

11:30 – 12:15 Rotwild-Management auf wissenschaftlicher Grundlage – was wir wissen und wissen sollten. Dr. Rudi Suchant (FVA BW)

 

Die FVA sei seit 20 Jahren in der Rotwildforschung.

 

Dr. Suchant begann mit einer allgemeinen Einschätzung: Zum Rotwild gebe es total gegensätzliche Anschauungen (Peter Rosegger – Aldo Leopold). Menschen unterlägen dem „Bestätigungsfehler“ = Was mich bestätigt, sei „das Richtige“.

 

Rotwildmanagement sei  nicht identisch mit Jagd, aber die Jagd gehöre dazu.

Ziel sei es, Wildschäden und Ansprüche des Rotwildes in Einklang zu bringen, eine passende Wilddichte zu finden. Diese bewege sich zwischen Bejagbarkeit, Erlebbarkeit, Natur- und Tierschutz.

 

Jagdstrecken lassen nicht auf Bestandsgrößen schließen. Aber gerade die Bestandsentwicklung sei die interessante Größe. Wieviel Rotwild ist da?

 

In BW war 2007 die genetische Diversität ausreichend.  

 

Die Studie von Westerkamp 2022 habe das Mosaik unterschiedlicher Strukturen In Baden-Württemberg untersucht (Straßen, Siedlungen, Rotwildgebiete). Man müsse dabei auch realisieren, dass diese Wildpopulationen im Winter in den Wald gehen. Mit solchen Parametern wurden in BW Lebensraumtypen herausgearbeitet und eine Lebensraumbewertung geschaffen.

 

Der Generalwildwegeplan (GWP) von 2008 wurde 2021- 2023 erneuert. Die Ergebnisse  stünden allerdings noch aus.

 

Rotwildmanagement habe ein sehr komplexes Wirkungsgefüge und sei deshalb sehr aufwändig, da Wald, Straßendichte, Siedlungsdichte und Landwirtschaft etc. berücksichtigt werden müssen. Das allein lasse schon ahnen, dass es gar nicht so einfach sei, Rotwildgebiete einfach aufzulösen.

 

Dazu müsse auch die Wissensgrundlage aus der Jagd sicherer werden. Die Jagdstrecken z.B. sollten über den körperlichen Nachweis abgesichert werden.

Für ein Monitoring liege derzeit eine zu geringe Wissensgrundlage vor. Es gebe Defizite über Verteilung/Geschlechterverhältnis/Alter, über den Lebensraum, über die Schäle. Mit 62 Revieren im Nordschwarzwald z.B. habe man sehr viele jagdliche Managementeinheiten. Das alles erschwere eine guten Monitoring, das wiederum Grundlage für eine effektive Jagd sei.

 

Störungen hätten vielfältig Ebenen, beim Sichern, bei der Habitatnutzung, beim  Stresslevel, bei individuellen Verhaltensunterschieden und dem Verhalten generell. So zeigen z.B. Untersuchungen der Jagd- und Schonzeiten den enormen (störenden) Einfluss der Jagd.

 

Rotwild hat Aktivitäts- und Ruhephasen,  im Einzelnen gebe es aber große individuelle Unterschiede.  

 

Die Jagd sollte möglichst störungsarm sein. Bei Störuntersuchungen seien Wege besonders prekär, noch gravierender seien aber Bewegungen abseits von Wegen.

Schäden, besonders Schälschäden, seien nicht von der Rotwilddichte abhängig. Schälschäden seien mit einem Hinweis auf Fritz Völk bestandsabhängig. (Hier klatschten die Teilnehmer:innen; und mit der Pirsch hat auch die erste Jagdzeitschrift diese Aussage aufgegriffen)

Anmerkung: Im persönlichen Gespräch nach dem Referat, hat Dr. Suchant das relativiert, denn es gibt ja unausweichlich Bestandentwicklungen und damit schälgefährdete Bestände. Und in diesen sei natürlich die Populationsdichte durchaus ein Faktor.

 

Bei der Bewertung von Rotwild und seinen Auswirkungen im Lebensraum und dem Umgang damit bewege sich die Einstellung der in einer Studie Befragten zwischen Dominanz~Eingreifen und Mutualismus~Zulassen (Wechselwirkungen). Die einen würden eher eingreifen und regulieren, die anderen seinen hier weniger aktiv.

 

Das wünschenswerte Rotwildmanagement in Baden-Württemberg fuße auf verschiedenen wichtigen Bereichen: Die räumliche Konzeption, die Bestandentwicklung, das Monitoring, und eine dauerhafte Fachberatung. Letzteres werde mit dem Wolf noch wichtiger.

 

Diskussion (in Auszügen):

-       Zur Teilnehmerzahl von Umfragen: Bezüglich der Umfragen wird klargestellt, dass Stimmendurchschnitte ermittelt werden, die ab ca. 200 Befragten relativ stabil seien.

-       Lichte Wälder seinen wichtig für Äsung und Deckung. In diese Richtung solle Fortbildung laufen.

-       Einen transparenten Abschussnachweis bekommt man letztlich nur mit einer Genprobe.

 

 

12:15 – 13:45 Mittagspause

 

 

13:45 – 14:30 Rotwild sichtbar machen. Hubert Billiani (Revier Paintl, Vorderriß)

 

Im Revier von Hubert Billiani könne sich Naturverjüngung richtig gut entwickeln. Das sei ihm wichtig. Er habe zusammen mit Martin Neulinger-Heck das Netzwerk Wald mit Wild gegründet, um das Zusammenleben von Rotwild und einer guten Waldentwicklung zu ermöglichen. Mit der Anlage von Äsungsflächen, Ruhe und der richtigen Bejagung sei das möglich.

 

Äsungsflächen

Er habe 16 Äsungsflächen angelegt, die einmal im Jahr gemäht werden. Auf Äsungsflächen werde nicht gejagt. Erste Erfahrungen habe er dazu beim Almschwenden gemacht. Dabei wurden auch die Randbäume entastet, damit möglichst viel Licht auf den Boden komme und die Bodenfloraentwicklung gefördert werde.

 

In seinem Revier gebe es auch Almbeweidung mit 40 Stück Jungvieh, das 3 -4 Wochen auf einer Koppel ist. Er selbst kontrolliere das Vieh, damit durch Externe keine Störungen entstehen. Ein Grundprinzip in diesem Zusammenhang: Frische Äsung hält Rotwild vom Wald fern.

 

Tagaktives Wild

Tagaktives Wild erhalte man, wenn kein Jagddruck auf Äsungsflächen gemacht wird. Im Sommer falle auf den Äsungsflächen kein Schuss. Mit seinen Bildern zeigt er während des Vortrages viele Hirsche und Kahlwild, das auf solchen Äsungsflächen äst oder ruht.

 

Tagaktives Wild erhalte man zudem, wenn die Sozialstruktur stimme.

 

Der Tourismus sei in seinem Revier kein Problem.

 

 

 

Bejagung

Gejagt werde von Oktober bis Dezember (Weihnachten). Es werden keine Drückjagden abgehalten und keine Kirrungen angelegt. Der Ansitz (zum Kahlwildabschuss) erfolge immer zu zweit, um Alttier und Kalb sicher zu erlegen. Nach dem Schuss müsse man ganz ruhig abgehen. Der größte Fehler werde nach dem Schuss gemacht. Das laute Repetieren nach dem Schuss verrate den Menschen. Er gehe nach dem Schuss oft erst mal frühstücken oder Fütterungen beschicken, lasse eine Stunde Zeit, um danach motorisiert das erlegte Wild zu holen. So verknüpfe das Rotwild nicht Jagd/Mensch und Störung/Gefahr.

 

Es gebe wenig Rehwild, das „halten wir sehr kurz“. Die Gams stehe bei ihm auch im Wald, ohne dass es Verbissprobleme gebe.

 

Im Revier mit 1300 ha stünden ca. 8-10 Stück Rotwild auf 100 ha, dazu komme die Gams und wenig Rehwild.

 

Waldbau und Naturverjüngung

Er habe 90% Naturverjüngung. Gepflanzt werde nur Lärche, die mit zwei Holzpfosten gegen Schlagschäden beim Fegen der Geweihe geschützt wird. Das reiche aus.

Die üppige Naturverjüngung, die er mit Bildern anschaulich zeigte, werde dann bei 3-4 Metern Höhe durchforstet. Buche müsse z.T. herausgepflegt werden, da sie ansonsten die Tannen und Fichten überwachse. Die Tanne komme weitgehend problemlos. Eine (im Bild gezeigte) verbissene Tanne sei eher ein Einzelfall. Es gebe im Revier keinen Verbissschutz und keine Schälschäden.

 

Fütterung

Er unterhalte zwei freie Fütterungen ab Mitte Oktober bis ins Frühjahr hinein. Das Rotwild sei auch tagaktiv an den Fütterungen. Im Hochwinter gebe es nur Heu und Heusilage, davor und danach hochwertigeres Futter.

 

 

Diskussion (in Auszügen):

-       Frage zur Revierweisen Aussage: Er brauche und habe keine Revierweise Aussage. Bei ihm passe es.

Anmerkung: Im direkten Gespräch danach blieb dieser Punkt völlig unklar. Da der Hegering Isarwinkel rot ist, muss eine Revierweise Aussage vorliegen. Ob diese „brauchbar“ oder „günstig“, wie Billiani dabei sagte, oder nochmals anders sei blieb offen.

 

 

14:30 – 15:15 Die tiergerechte Rotwildjagd – Teil unserer Verantwortung für Wald und Wild. Dr. Andreas Kinser

 

Hauptgrundlage für den Vortrag sei das Gut Klepelshagen.

 

Dr. Kinser verwies anfangs auf die neue Schrift der Wildtiergesellschaft „Waldbilder aus Wildwäldern“.

 

Man habe Verantwortung für den Wald. Man habe aber auch Verantwortung für das Wild. „Wild (An.: wohl verstanden als Rotwild) steht im Offenland.“

In Abänderung des ÖJV-Slogans formuliere er „Wald und Wild zeigen, ob die Jagd stimmt.“

Anmerkung: Im Gespräch nach dem Vortrag verwies Dr. Kinser darauf, dass dieser Spruch nicht von ihm, sondern von der JG Waldsolms stamme (s. obige Schrift S. 65)

 

Rotwild müsse wandern können wie Wildkatze und Wolf. Alle Hirsche außerhalb der Rotwildgebiete würden den Genfluss sichern.

 

Hegegemeinschaften sollten Verantwortungsgemeinschaften für das Rotwild sein.

Es brauche Ruhezonen, die nicht bejagt werden. Die Jagdzeiten sollten verkürzt, die Lebensräume verbessert werden.

 

Bisher wenig beachtete und geliebte Baumarten wie die Zitterpappel seien für das Rotwild und den Artenschutz wichtig. Man benötige lichte Waldstrukturen. Sofortige Aufforstung solle unterbleiben, stattdessen der Pioniervegetation eine Chance gegeben werden.

 

Kluge Jagd

Man brauche eine „kluge Jagd“: nicht an Äsungsflächen, eher am Morgen jagen, nach dem Schuss keine Fehler machen (Verknüpfung Jagd – Gefahr), Nachtzieltechnik sei ganz schlecht für das Rotwild, während Schwarzwild damit nachts besser bejagt werden könne. 

 

Sozialstruktur

Führende Alttiere dürften absolut nicht erlegt werden, auch nicht einzeln anwechselnde, wie die Studie von Simon & Lang zeige: Nach genetischen Einzeluntersuchungen kam heraus, dass auf einer Drückjagd mit 73 erlegten Alttieren und 148 erlegten Kälbern 20 Kälber ganz offensichtlich verwaist waren. Das sei hinsichtlich BJagdG § 22 (4) und Tierschutzgesetz § 17 nicht hinnehmbar!  Er hinterlegte dies mit dem Bild eines wohl verwaisten, herabgekommenen Kalbes  und formulierte dazu: „Das will unsere Gesellschaft nicht!“ Das sei ein Straftatbestand.

 

„Wie kriegen wir unsere Alttiere?“ Man jage viel im Mai und August. Kahlwild werde nicht auf den Brunftplätzen bejagt. Beim Abschuss, den andere Tiere mitbekommen, würden Traumata entstehen. Bei großen Jagden werde zentral aufgebrochen. In den letzten Jahren habe sich die Strecke enorm erhöht: 2009 wurden im Gut Klepelshagen knapp 10 Stück Rotwild erlegt, 2021 waren es knapp 120.

 

 

15:15 – 15:45 Kaffeepause

 

 

15:45 – 16:30 Abschlussplädoyer der Präsidenten im Gespräch mit der Politik

(Moderation Chr. Teppe, Teilnehmer:innen Dr. Friedmann (LJV BW), Ernst Weidenbusch (BJV), Reinhold Pix (MdL Grüne), Sarah Schweizer (MdL CSU), Baron von Gemmingen-Hornberg (BJV))

 

An die Referenten und wichtige Teilnehmer:innen wurde das Buch von Dr. Bertram Georgii: Rothirsch - wohin? Gegenwart und Zukunft eines faszinierenden Wildtiers“ vergeben.

 

 

Podium 

 

Sarah Schweizer (MdL CDU)

-       Jägerin, Sprecherin Jagd, Waldpolitik, Forst

 

Reinhold Pix (Mdl Grüne)

-       Einer der „Väter“ des baden-württembergischen Jagd- und Wildtiermanagementgesetzes (JWMG). Pix: Die Grünen packen heiße Eisen an! Seit 2006 im Landtag, Diplom-Forstwissenschaftler.

 

Baron von Gemmingen-Hornberg

-       Betrieb in der Nordoberpfalz und im Vorarlberg, War bis vor kurzem der Leiter des Hochwildhegeringes in Vorarlberg.

-       Das Rotwild sei unser größtes Säugetier, sozusagen unser „Elefant“ und sei deshalb entsprechend zu schützen.  

-       Problem sei die genetische Verarmung.

-       Die Auflösung der Rotwildgebiete sei eine gute Idee, es gebe aber auch Gegner. In Bayern würde man ein Fass aufmachen und hätte BBV, WBV und auch die Jägerschaft (!) als Gegner.

 

Dr. Friedmann (Präsident des Landesjagdverbandes Baden-Württemberg)

-       Die Veranstaltung sei nicht der Startschuss, sondern ein Meilenstein (bezog sich auf E. Weidenbusch).

-       Er warte auf das Ergebnis der neuen Gen-Studie in Baden-Württemberg.

-       Zu den Rotwildgebieten: „Was nach der Auflassung kommt, ist das Schwierigere“.

 

Ernst Weidenbusch (MdL CSU)

Antwort zu Gemmingen-Hornberg

-       Man brauche eine Raumplanung für das ganze Land und mehr.

-       Wildbiologische Forschung.

-       In Vorarlberg gebe es keine genetische Verarmung.

 

Antwort zu MdL Schweizer

-       Man dürfe nicht übers Ziel hinausschießen.

-       Waldbesitzer hätten Ängste

-       Rotwild brauche ganz viel Management.

-       Die FVA mache eine super Arbeit.

 

Antwort zu MdL Pix

-       Jetzt (nach dem JWMG) müsse man das Rotwildproblem in Baden-Württemberg angehen.

 

Antwort zu Dr. Friedmann

-       Es gebe ein Umsetzungsdefizit.

-       Neues Rotwildmanagement sei ein „ganz dickes Brett“.

-       Das von Friedmann erwähnte Abschussverbot 150 m nach Wildbrücken in Baden-Württemberg sei absolut nicht in Ordnung. Es brauche eine Änderung der Rotwildverordnung.

-       „Wir sind die Anwälte des Rotwildes.“

 

Dr. Friedmann

-       „Jagd ist Auftrag und Leidenschaft.“

-       Man müsse mit Waldbesitzern und Grundeigentümern zusammen gehen.

 

Weidenbusch

-       Er habe gut geschlafen, was zeige dass der vorhergehende Abend sehr stimmig war.

-       Jeder habe heute dazu gelernt.

-       Jeder Einzelne heute sei ein Beitrag zum Positiven.

 

 

 

Kommentar (Dr. W. Kornder)

 

Das Thema Wald und Waldschäden durch Rotwild wurde eigentlich überall angeschnitten, stand aber immer hinter dem Eintreten für das Rotwild zurück.

 

Am breitesten war das Wald-Wild Thema im Referat von H. Billiani vertreten, der der Meinung war, er habe mit seiner Rotwildbewirtschaftung den Einklang von relativ hohen Rotwilddichten (8 – 10 Stück auf 100 ha) und einem sich selbst mit allen am Standort vorhandenen Baumarten verjüngenden Wald gefunden. Die von ihm gezeigten Verjüngungsbilder waren durchaus beeindruckend.

 

Es stellt sich für mich die Frage, ob das vereinzelte Verjüngungsstrukturen sind, wie sie sich in vielen, vereinzelt auch in verbissmäßig schlechten Revieren finden lassen und wie der Zustand auf der gesamten Fläche ist. Meiner Frage nach dem Ergebnis der Revierweisen Aussage ist er ausgewichen. Der ÖJV will sich deshalb vom Gesamtrevier bei einer Begehung vor Ort selbst ein Bild machen.

 

Ungeachtet dessen scheint mir das Revier von H. Billiani kein Modell für andere Rotwildgebiete zu sein, da einmal die Beunruhigung durch Verkehr, Forst und Tourismus aufgrund der geringen Erschließung oder durch die allein schon geländebedingt nicht sehr intensive forstliche Bewirtschaftung sehr gering zu sein scheint. Solche Rahmenbedingungen finden sich in vielen anderen Rotwildrevieren nicht. Die oft genannte Sichtbarkeit des Rotwildes ist folglich in diesem Revier einem kleinen, fast elitären Kreis vorbehalten; der Normalbürger wird das nicht erleben können. Und wenn die Normalbürger in Scharen in das Revier kämen, wäre die Sichtbarkeit schnell vorbei. Zudem scheint mir der zeitliche und monetäre Aufwand für Fütterung oder Pflege der Äsungsflächen sehr hoch zu sein.

 

Kein Referent hat die Bejagung grundsätzlich in Frage gestellt. Das wäre ja auch kontraproduktiv auf einer Veranstaltung von Jagdverbänden. Im Gut Klepelshagen (Dt. Wildtierstiftung) hat sich innerhalb von gut 10 Jahren (von 2009 – 2021) die Abschusshöhe um das ca. 11-fache erhöht (von knapp 10 auf knapp 120 Stück). Ganz offensichtlich gibt es auch in sehr rotwildfreundlich denkenden Kreisen Grenzen. Wo diese Grenzen liegen, scheint mir eine entscheidende Frage zu sein. Muss man 8 – 10 Stück Rotwild bei Optimalbedingungen mit speziell angelegten Äsungsflächen und einer sehr langen Fütterungszeit „künstlich“ halten?

 

Bei der Frage der Bejagung ist vor allem Julian Laumeier ausgeschert, als er aus genetischen Gründen eher die Schonung der Hirsche und analog dazu das Absenken des Kahlwildes forderte. Ob das mit der derzeitigen Jägerschaft zu machen sei, wurde in der Veranstaltung offen mehrfach bezweifelt.

 

Hochinteressant fand ich, dass die teils gravierende Genverarmung in Nordrhein-Westfalen und Hessen wohl hauptsächlich durch die Zerschneidung und Zersiedelung der Landschaft bedingt ist. Das Argument, Rotwildgebiete behindern den Genaustausch, spielt zumindest in Bayern - vielleicht abgesehen von den Isarauen - ohnehin aufgrund des großen Einzugsbereiches im Spessart, dem bayerischen Wald und den Alpen kein Thema. Zumindest für Bayern ist die Auflösung der Rotwildgebiete genetisch gesehen ein absolutes Randthema.

 

Die Genverarmung in manchen Teilen Deutschlands ist sicher ein gravierendes Problem. Der Hauptgrund dafür liegt aber in der Zerschneidung und Verbauung unserer Landschaft (und einer eiseitigen Bejagung der Hirsche). Wildbrücken und Wildschutzzonen können in diesen Hot-Spot-Gebieten vielleicht manches etwas entschärfen. Wenn ich das aber richtig spüre, wird es in unserem dicht besiedelten Land für manche der Rotwildpopulationen keine Zukunft geben.

 

Gestört hat mich, dass der Lebensraum dem Rotwild angepasst werden sollte. Das fängt beim Einrichten von Ruhezonen an und hört bei der Anlage von Äsungsflächen oder Lebensraumverbesserungen in monotonen Waldgebieten auf. M.E. sollte der ins Feld geführte Artikel 20a GG inmitten der bedrohlichen Klimakrise den „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ in den Mittelpunkt stellen. Hohe Schalenwildbestände, gerade auch hohe Rotwildbestände, sie sich zusätzlich durch den „Schutz der Tiere“ entwickelt haben,  müssten m.E. dahinter zurücktreten. Oberstes Ziel scheint mir zu sein, diese natürlichen Lebensgrundlagen und damit einigermaßen klimastabile Wälder zu fördern, um die gesellschaftlich wichtigen Funktionen solcher Wälder und den Lebensraum des Rotwildes zu erhalten.

 

Zurecht wurde von vielen Referenten der Tierschutz, allen voran der Schutz der führenden Alttiere, angemahnt. Dass dieser Schutz die Rotwildbestände immer mehr steigen lässt, ist bekannt. Aber keiner der Referenten hat eine überzeugende Lösung präsentiert, wie man das damit verbundene Ansteigen der Rotwildbestände bremsen kann.

 

Ich verstehe, dass der Tierschutz in unserer Gesellschaft einen sehr hohen Stellenwert hat. Aber wo ist die Grenze und ab wann muss der in Art. 20a GG 2002 neu aufgenommene „Schutz der Tiere“ hinter dem „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ zurückstehen?

 

Dr. Wolfgang Kornder

 

(Seminarteilnehmer) 

 

Eingestellt 230325

© Dr. W. Kornder