Mystik, Klima- und Bewusstseinswandel
(Kontemplationskurs in Steinerskirchen 230414-16)
Aus der Ankündigung des Kurses
(Nicht nur) der Klimawandel macht uns Menschen zunehmend und zu Recht Angst, denn der Mensch (homo sapiens!) ist nicht mehr Herr der Lage. Unsere Position im großen Ganzen vom „Herrscher“ hin zum Teilaspekt einer größeren Einheit, zum Teilaspekt der Schöpfung, mit der wir doch unaufgebbar verwoben sind, verändert sich. Die aktuellen Krisen (z.B. der Angriffskrieg Putins auf die Ukraine) verstärken diese Entwicklung noch. – Dem dahinter liegenden zutiefst mystischen Thema, nämlich in der „Einheit“ hierarchielos geborgen zu sein, werden sich die Impulsreferate widmen.
Das Problem
Klimakrise
- Es geht nicht mehr um Klimawandel. Wir müssen inzwischen ganz klar von der Klimakrise reden. Und diese Klimakrise hat Auswirkungen und bedroht die gesamte Welt.
- Diese Klimakrise ist durch uns Menschen verursacht. Der Hauptgrund ist unser rücksichtsloser und ungebremster Umgang mit Ressourcen wie fossile Energieträger, Wasser oder Land (Bauland).
- Es können einfach nicht über 8 Milliarden Menschen mit dem Ressourcenverbrauch leben, den die Industriestaaten haben. Und die Tendenz in den Schwellen- und Entwicklungsländern eifert uns Industrienationen nach, da der hohe Lebensstandard ein faszinierendes Ziel ist.
- Intelligente und kluge Wirtschaftssysteme würden manches abfedern. Ob sie ohne Einschränkungen dazu in der Lage sind, wage ich zu bezweifeln.
Wie konnte es dazu kommen?
Es scheint doch so zu sein, dass der Mensch/die Menschheit hier versagt hat. Ein anthropozentrisch angelegtes/ausgeprägtes Bewusstsein steht wohl als Haltung hinter dieser Krise. (à Gier).
Man muss sich beim der Betrachtung dieses großen Themas bewusst machen:
- Der Mensch hat die Natur und seine Umwelt schon immer genutzt, auch als Hirten und Jäger.
- Die Natur, bzw. das Leben in der Natur, war hart und unbarmherzig.
- Mit der Erfindung des Ackerbaus (vor ca. 8 - 10.000 Jahren) verbinden die Historiker die steile Entwicklung der Menschheit, denn Ackerbau ermöglichte die Ernährungssicherung von großen Menschenmengen.
- In Deutschland z.B. haben die Menschen deshalb im ausgehenden Mittelalter immer mehr Wälder gerodet, um mit der Landwirtschaft eine bessere Zukunftssicherung zu gewährleisten. Die Bevölkerung wuchs, konnte wachsen. Die Siedlungen nahmen zu.
- Historisch ist es so, dass damit etwa seit dem 9. Jhd die Rodungen in Deutschland zunehmen: Mitte des 8. Jahrhunderts hatten wir einen Waldanteil für Mitteleuropa von 90 % an. Aktuell liegt der Waldanteil in Bayern bei 35 % der Staatsfläche.
- Die durch den technischen Fortschritt ermöglichte Industrialisierung im 17./18. Jhd. kommt es zum Raubbau an der Natur und zur zahlenmäßig exponentiellen Entwicklung der Menschheit. Das Werkzeug zur Beherrschung der Natur wurden die Naturwissenschaften.
- Im 18. Jhd. war die Devastierung der Wälder so groß, dass im Forst durch Carlowitz die „Nachhaltigkeit“ erfunden werden musste.
- Um 1900 kommt deshalb der Naturschutzgedanke auf und die ersten Naturschutzverbände entstehen.
è Alle Zerstörungen bis dahin stellten keine weltweite Bedrohung dar. Das Neue an der Klimakrise sind die desaströsen weltweiten Auswirkungen.
Religion und Mystik?
1. Mose 1,28
Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht.
Wenn man diese Sätze aus der Bibel historisch stimmig einordnen will, muss man sehen:
- Bis in die Neuzeit hinein, 19./20. Jhd. wurde die Natur als etwas erlebt, was überwunden werden muss. Natur war zwar Lebensgrundlage aber gleichzeitig lebensfeindlich. Wer in der Natur auf sich allein gestellt war, der musste um sein Überleben kämpfen.
- Das Überleben gelang eher in der Gemeinschaft.
- Die Kindersterblichkeit war bis in die Neuzeit hinein sehr hoch, bis 50% wurden keine 14-15 Jahre alt.
- „Herrschen“ sicherte Überleben. Die Vorstellung vom „Herrschen“ orientierte sich ein einem guten Herrscher, der sich für sein Volk einsetzte.
Und dann gab es von Anfang, noch dazu in den ältesten Teilen des Alten Testamentes, in den sog. Jahwe-Texten, auch ganz klar den Schutzgedanken:
1. Mose 2,15
Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.
Es ist verständlich, dass der Gegenstand der Religionen und auch der klassischen Mystik der Mensch war, der einerseits um seine äußere, leibliche Existenz kämpfen und sich andererseits mit sich und seinen Ungereimtheiten, Widersprüchen und Untiefen auseinandersetzen musste. Er sollte zu einem guten, konstruktiven, positiven Umgang mit sich selbst geführt werden. Gegenstand der Auseinandersetzung war nicht der Schutz der Umwelt. Die wurde eher als Bedrohung erlebt.
Diesem Ziel dienten auch die Gesetze, die10 Gebote oder die Regeln im Buddhismus oder im Hinduismus: Sie regelten den Umgang untereinander und die Beziehung zu Gott. Sie regelten nicht den Umgang mit der Umwelt.
In und mit den Klöstern wurde
- das Land urbar gemacht,
- die Medizin entwickelt,
- die Naturwissenschaften ausgebaut,
- wurde „kultiviert“ („cultura“ = Ackerbau à Kultur), wurde geforscht und Lebensgrundlagen für die stetig wachsende Bevölkerung gelegt.
Diese Entwicklung hat dann die moderne neuzeitliche Gesellschaft mit dem weiteren Ausbau fortgeführt:
- Industrialisierung, technischer + medizinischer Fortschritt
- Umweltzerstörung, Entstehung des Proletariates, Zunahme menschlichen Elends
- Auf dieses Elend reagierten politisch Philosophen wie Marx mit der Entstehung des Kommunismus und religiös Menschen wie Wichern oder Kolping mit der Entwicklung der Inneren Mission (später Diakonie/Caritas). Teile der Bevölkerung wanderten ins gelobte Land nach Amerika aus.
- Am Ende des 19. Jhds entstand notgedrungen langsam das, was wir heute "Naturschutz" nennen.
Nicht anders verhielt es sich beim Tierschutz
- Gemeinsame Wurzel von Tier und Mensch waren in der Vorstellung einer Schöpfung (Mitgeschöpf) eigentlich in allen Kulturen und Religionen gelegt.
- Im Judentum/AT gab es z.B. den Sabbattag für Tiere
- Abschaffung der Tieropfer durch Jesus
- Aus der Reihe fiel Franz von Assisi, der mit den Tieren sprach.
- Albert Schweizer setzte mit seinem Reden von der „Ehrfurcht vor dem Leben“ einen ganz neuen Schwerpunkt.
Solche Ansätze waren auch nötig, da es konträr dazu auch ganz andere Anschauungen gab, etwa bei dem französischen Philosophen Descartes (1596 – 1650), der Tiere wie Maschinen sah, die keinerlei tieferes Innenleben, geschweige denn Bewusstein hätten.
Heute haben wir vielfach beides:
- Die Gleichstellung von Tier und Mensch, die manchmal in eine Überhöhung der Tiere mündet: „Tiere sind die besseren Menschen“ (Buch von Peter Sasse).
- Und Tier als Ware, als „Sache“ (im juristischen Sinne), Tierfabriken, Massentierhaltung, Qualzuchten ….
Lösungsansätze
Technische Lösungen oder Gier als Kernproblem von Umweltzerstörung und Klimawandel
Ein Schlüssel zur Lösung der Klimakrise liegt für mich in der Gier des Menschen. Nach Oxford Languages ist Gier ein "heftiges, maßloses Verlangen". Letztlich sind es die Auswirkungen der menschlichen Gier, die diesen Planeten zugrunde richten.
Gier - Buddhismus
Die großen Religionen kennen dieses Phänomen natürlich. Der Buddhismus z.B. gründet sich auf vier von Buddha formulierten Hauptsätzen, sog. "edle Wahrheiten". In der Quintessenz geht es darum, wie die menschliche Lebensgier (Lebensdurst) überwunden werden kann. Wer die Gier wie Buddha als Wurzel allen Leides erkannt hat, sollte sich demnach im 8-fachen Pfad üben, um Herr im eigenen Haus zu sein und nicht fremdbestimmt zu werden.
Gier im Christentum
Natürlich kennt auch das Christentum das zerstörerische Phänomen der Gier und hat sich damit auseinandergesetzt. Viele Geschichten beschäftigen sich damit, z.B. das Gleichnis vom reichen Kornbauern Lk 12, 18-22. Die Quintessenz dieses Gleichnisses liegt darin, dass einer genug hat, aber immer noch mehr will.
Interessanterweise lässt das Markusevangelium das Auftreten Jesu mit einer kompakten Zusammenfassung seines Auftrages beginnen, Mk 1,15: „Tut Buße“ - und damit die Aufforderung an uns: Ändert Euch! Eine sehr grundsätzliche Botschaft, in der Tragweite nicht unähnlich den vier edlen Wahrheiten des Buddhismus. Mit dem Aufruf zur Buße geht es um eine grundlegende Haltung, die sich ganz sicher nicht am Ausleben der Gier orientiert, sondern wie im buddhistischen Denken eine Ausrichtung und Auseinandersetzung mit mir selber fordert. Denn bisher wurde jede Technik auch von der menschlichen Gier instrumentalisiert. Eines ist für mich klar: die Gier lässt sich vom technischen Fortschritt oder hehren rational verfassten Bekundungen nicht im Geringsten beeindrucken. Gier ist eine innere Angelegenheit, die sich mit äußeren, materiellen Dingen oder rationalen Setzungen nicht ansatzweise in Schranken halten lässt.
Wir alle, ich eingeschlossen, stehen unter dem Einfluss von Gier und sind nicht davon gefeit. Wenn wir die drohende Gefahr des Klimawandels mit all seinen Folgen sinnvoll begegnen wollen, reicht es nicht aus, auf technischen Fortschritt zu hoffen oder aufgrund des Energieengpasses einen sorgfältigeren Umgang damit anzumahnen oder per Gesetz vorzuschreiben. Wer das Problem an seinen Wurzeln packen will, muss sich mit der allzu menschlichen Gier auseinandersetzen, muss die Psyche des Menschen mit einbeziehen, und da hätten die alten Religionen und da hat auch die Mystik viel zu bieten.
Grundsätzliche Anregungen aus der klassischen Mystik
In der Mystik unterscheiden wir „vita activa“ und „vita contemplativa“. Das sind schon zwei Pole, die eigentlich eine ideale, sich gegenseitig korrigierende Kombination bilden, die aber oftmals unverbunden nebeneinander stehen.
Ich erinnere z.B. an Angelus Silesius. Er legt den Fokus auf das Wesen. Man könnte heute sagen, auf die „Person“, auf die „Identität“ (Dorothee Sölle):
Mensch, werde wesentlich,
denn wenn die Welt vergeht,
so fällt der Zufall weg,
das Wesen, das besteht.
(Angelus Silesius).
Der Konsum und die Genusssucht treten damit in den Hintergrund. Die innere Entwicklung des Menschen ist gefragt und damit ein einfaches Leben.
In der Mystik und in Grundsätzen der Bibel finden sind ideale Grundhaltungen für eine schöpfungsschonende Haltung :
- „Die wichtigste Stunde ist immer die Gegenwart. Der bedeutendste Mensch ist immer der, der dir gerade gegenübersteht. Das notwendigste Werk ist stets die Liebe.“ (Meister Eckhard, ähnlich viele andere, z.B. Leo Tolstoi, Thich Nhat Hanh)
- Doppelgebot der Liebe (Mk 12, 29-31): Gott, den Nächsten und sich selbst lieben!
Aber es hapert – wie mit allen Philosophien, politischen Entwürfen etc - an der Umsetzung!
Umsetzen wie? Das ist die große Frage. Die Mystik – wieder religionsübergreifend - hat darauf eine klare Antwort, nämlich innerlich zu Ruhe zu kommen, „leer“ zu werden und Raum für Wesentliches, für Transzendenz, (christlich für Gott) zu schaffen:
- „Das Beste und Herrlichste, wozu man in diesem Leben gelangen kann, ist, dass du schweigst und Gott wirken und sprechen lässt.“ (Meister Eckhart)
Moderne mystische Entwürfe
Achtsamkeit - Tich Nhat Hanh (1926 – 2022)
- Der vietnamesische Zen-Meister Thich Nhat Hanh betont die kontinuierliche meditative Praxis. Das Üben in der Stille führt zu spiritueller Reife. Und wenn dies in der Sangha, der spirituellen Gemeinschaft geschieht, erfährt es eine gewichtige Verstärkung.
- Es geht um „Achtsamkeit“, darum, in jedem Moment „geistig präsent“ zu sein und somit „voll und ganz in der Gegenwart“ (s. Eckart u.a.) zu leben. Sich selbst und seine Gefühle wahrzunehmen, steht im Fokus. Und der Umgang mit diesen Gefühlen führt zum Staunen (bei den positiven) oder zur Transformation (bei den destruktiven).
- Alles ist miteinander verwoben. Hanh spricht vom „Interbeing“. Ein ganz moderner, ökologischer Ansatz. Und von hier aus vertritt er auch ganz klare Positionen zum Umweltschutz. „Dazu zählt für ihn die Minimierung des materiellen Verbrauchs und Verzicht und Genügsamkeit, nicht Wachstum und Investition … Konkret spricht er sich u. a. für vegane Ernährung, erneuerbare Energien, Recycling, und generell einen möglichst sparsamen Konsum (auch z. B. weitgehenden Verzicht aufs Autofahren und Fernreisen) aus“ (Wikipedia).
Dorothee Sölle – Widerstand
Dorothee Sölle nennt drei in der Mystik bekannte Abfolgen:
- Staunen
- Loslassen
- Widerstehen
In ihrem wohl bekanntesten Werk, dem 1997 erschienenen Buch Mystik und Widerstand, klingt bei ihr das alte „vita activa“ und „vita contemplativa“ an. Es geht darum, den vermeintlichen Gegensatzes von kontemplativer Transzendenzerfahrung und politisch-gesellschaftlichem Engagement zu beenden. Dabei zeigt sie auf, dass Persönlichkeiten wie der
- Sklavenbefreier und Quäker John Woolman,
- der ehemalige lutherische Generalsekretär der UNO Dag Hammarskjöld und
- der ev. Pfarrer und Bürgerrechtler Martin Luther King
- oder auch der ev. Theologe Thomas Müntzer (Führer im Bauernkrieg!)
ihre Kraft zum Widerstand gegen gesellschaftliches Unrecht aus ihren mystischen Erfahrungen schöpften. Mystische Erfahrung führt demnach gerade nicht zur Abwendung von der Welt, sondern zu einem demokratischen Glaubensverständnis, das sich als Widerstand in dieser Welt regt. .
Dass man dabei gerade vor dem Bösen und Zerstörerischen in dieser Welt die Augen nicht zumachen darf, fand sich immer wieder als zentrale Botschaft in ihrem Auftreten. In dem Gedicht Nachts um vier kommt das ungeschminkt zum Ausdruck:
Komm doch zu mir engel der schlafenden
in dieser stunde liegen die gefolterten wach
kühl ihre wunden streck die verrenkten glieder
lieber stummer engel der schlafenden ...
leg deine dunkle decke über meine verwachten augen
komm doch zu mir
und grüss den anderen engel
deinen dunkleren bruder
(Dorothee Sölle)
Es geht darum, den Entwurf Christi zu leben! Und dieser Jesus lässt den Menschen dabei nicht allein, sondern will ihm stellvertretend zur Seite springen (~ „gestorben für uns“). Und wir vollenden dann das Werk Christi, denn Christus hat „nur unsere Hände“. Das ist die Botschaft ihres 1965 erschienenen Buches „Stellvertretung“. Zerstörung, Gewalt, Konsum, Unmenschlichkeit … war damit radikal der Kampf angesagt. Die „politischen Nachtgebete“ 1968 – 1972 in der Antoniterkirche in Köln folgten diesem Programm.
Bei uns heute bedeutet das, gegen das Konsumieren und Produzieren anzugehen. Das ist der Fluch unserer Zeit. Das Böse steckt im System, zerstört unsere Umwelt und verhindert, dass der Mensch zu seiner Identität findet.
Staunen: Wie das Z.B. in dem Paul Gerhard–Lied „Geh aus mein Herz und suche Freud“ angelegt ist.
Loslassen: Allen voran das Konsumieren und Produzieren, das unsere Gesellschaft so prägt.
Widerstehen: Der Versuchung bei sich selbst und in der Gesellschaft widerstehen, aktiv Widerstand leisten.
Meine Zusammenfassung
Im Sitzen in der Stille werden wir „leer“ und damit aufnahmefähig für das „Wesentliche“, lassen wir uns verändern. Wir wachsen, finden unsere Identität im Staunen, können damit destruktive Strukturen erkennen und loslassen und von da aus - wo immer nötig und möglich - Widerstand leisten, um uns Menschen und die Schöpfung schützen.
Eingestellt: 230418
Bearbeitet: 230424
© Dr. W. Kornder