Die Nicolai-Kirche in Leipzig - mitten "im Dorf", mitten in der Stadt. Zumindest 1989 bei der Wende ein wichtiges "Forum".
Die Nicolai-Kirche in Leipzig - mitten "im Dorf", mitten in der Stadt. Zumindest 1989 bei der Wende ein wichtiges "Forum".

Die Kirche im Dorf lassen!

 

Ein Problem?

Wenn Forderungen, Überzeugungen und Haltungen sich zuspitzen, wenn wir von etwas total eingenommen sind, neigen wir dazu, links und rechts nichts mehr zu sehen und gelten zu lassen und zu überziehen. Der Gedanke, dass ich mich getäuscht und deshalb überzogen habe, kommt erst gar nicht auf. Dann schwingt etwas Eingeengtes, Starres mit. Dann sind wir "zu", nicht mehr kompatibel. - Gerade da hinein gehört die Redensart "Die Kirche im Dorf lassen!"

 

Isoliert statt im Leben

Das Bild von der „Kirche im Dorf lassen“ passt nicht nur zu den Dörfern meiner fränkischen Heimat, wo die Kirchen meist mitten im alten Ortskern zu finden sind. Es passt auch zu den Städten. Da die Kirche eigentlich für die Menschen da sein sollte, sollte sie auch dort sein, wo die Menschen sind, nämlich im Dorf oder inmitten der Stadt, zentral im Wohn- und Lebensbereich.

Ich kann eine Meinung hochstilisieren und in den Himmel heben. Wenn sie die Menschen nicht mehr erreicht, wenn sie so weit weg ist von dem, was die Menschen bewegt, was sie annehmen können, dann wird das niemandem nützen. Dann steht die Kirche sozusagen außerhalb des Dorfes, so wie meine Meinung außerhalb steht, isoliert. Keiner hat etwas davon. Elfenbeinturm statt „Kirche im Dorf“.

 

Korrekturen immanent!

Die Kirche fällt in unseren Dörfern auf. Sie hebt sich heraus. Der Kirchturm, oft auch das Kirchenschiff, sind weithin sichtbar. Und diese Kirche steht für etwas. Sie hat eine Botschaft, mit der sie nicht hinter dem Berg halten sollte. Die "Kirche" im Dorf ist so gesehen eine Metapher, ein Forum zum Austausch und zur Auseinandersetzung von Meinungen, Einstellungen, Haltungen.

Kirche macht nur Sinn, wenn sie offen ist für das "Dorf", für die Menschen. Man muss hineingehen können und wollen. Wenn die Türen zu sind oder wenn sie nur selten auf sind oder wenn, aus welchen Gründen auch immer, keiner mehr hineingeht, dann verliert sie ihre Funktion. Dann steht zwar noch das Gebäude wie eine leere Hülle da, aber die damit verbundene Funktion und die damit verbundene Dynamik fehlen.

Und wenn es für das Dorf, sprich die Menschen, sinnvoll erscheint in dem Forum "Kirche im Dorf lassen" mitzumischen,  dann müssen sie sich notfalls korrigieren lassen. Gerade in Letzterem liegt ein wesentlicher Sinn der Redensart.

 

Ein Biblisches Paradebeispiel für "Kirche im Dorf lassen" ist für mich der "Reiche Jüngling" (Markus 10,17-27; Mt 19,16-25; Lk 18,18-27). Als einer, der alles erfüllt hat, ist er der absolute Überflieger, der es gar nicht mehr nötig hat, das Dorf-Forum zu besuchen. Sehr geschickt, wie Jesus ihm mit dem Hinweis auf das Verschenken seines Reichtums indirekt zu verstehen gibt: Bleib auf dem Boden, lass die "Kirche im Dorf"! 

 

Ob der Reiche Jüngling noch ins Forum kommt?

 

Aktualisiert 160415