Die "Nuss zu knacken, ist vielfach Thema von Märchen, Mythen, Legenden und Symbolen. (Photo Pixabay)
Die "Nuss zu knacken, ist vielfach Thema von Märchen, Mythen, Legenden und Symbolen. (Photo Pixabay)

Küss mich, halt mich, lieb mich! 

aus: Die drei Haselnüsse für Aschenbrödel

 

Dazu meine Ansprache aus dem musikalischen Weihnachtsgottesdienst vom 28. Dez. 2018, den der Musikverein "Zeitvertreib" Ulsenheim (MZU) unter der Leitung von Gerhard Geuder jedes Jahr in der Ulsenheimer Kirche organisiert. Moderation und geistliche Worte liegen immer bei mir: 

 

"Ich frage mich natürlich bei diesem musikalischen Gottesdienst immer, wo ich denn meinen geistlichen Schwerpunkt setzen soll. Er kommt jetzt. „Küss mich, halt mich, lieb mich“ wird Tanja (Tanja Schmidt aus Ulsenheim) gleich singen. Vielleicht denken jetzt einige von Ihnen, dass der alte Dr. Kornder langsam an geistiger Verwirrung leidet. Aber langsam. Alles der Reihe nach.

 

Rahmendaten 

Natürlich klingt dieser Songtitel nach billiger Love-Story. Ja, und auch ich sehe die Scene schon als kitschigen Liebesfilm vor mir. Aber der Hintergrund dieses Songs ist ernster, geht tiefer: „Küss mich, halt mich, lieb mich“ stammt aus dem (irgendwie schon kitschig anmutenden) Märchenfilm „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ und der folgt dem gleichnamigen Märchen von Božena Němcová, das diese zwischen 1842 und 1845 geschrieben hat. Und das wiederum hat unübersehbare Anleihen aus Grimms Märchen Aschenputtel in der Version von 1819. Es ist ähnlich wie bei dem vorhin genannten Märchen von Andersen sozusagen eine Version „light“. Soweit zu den Rahmendaten des Kultfilmes.

 

Spiegelbild eines tragischen Lebens

Nun zur Schriftstellerin: Božena Němcová ist eine bereits zu Lebzeiten berühmte tschechische Schriftstellerin, evtl. die Tochter in einer Angestelltenfamilie. Der Vater war Kutscher und die Mutter Wäscherin, beide beim Grafen Karl Rudolf von der Schulenburg und seiner Frau, der Herzogin Katharina Wilhelmine von Sagan. Ob ihr leiblicher Vater der Kutscher Johann Pankl ist, lässt sich allerdings nicht hundertprozentig festmachen. Jedenfalls hat besagte Herzogin Wilhelmine von Sagan dieses Kind gefördert, so dass sie – für damalige Verhältnisse ganz unüblich – eine angemessene Bildung bekam und durchaus emanzipatorische Züge aufwies.

 

Auf Drängen der Mutter heiratete sie einen 15 Jahre älteren Mann. Aus der unglücklichen Ehe, in der Božena Němcová  auch geschlagen wurde, gingen vier Kinder hervor. Trotzdem und obwohl sie durchaus eine für damalige Verhältnisse moderne Frau war, blieb sie in dieser Ehe. Aufgrund ihres berühmtesten Werkes „Babička“, „die Großmutter“, wissen wir, dass sie körperliche, psychische und finanzielle Probleme hatte. Sie starb mit 42 Jahren 1862 trotz ihres hohen Bekanntheitsgrades verarmt und einsam in Prag.

 

Sehnsucht nach Wertschätzung und Liebe

Dahinein stellen wir jetzt das „Küss mich, halt mich, lieb mich“. Und da verliert es seinen kitschigen Beigeschmack. Da kristallisiert sich eine Frau heraus, die trotz ihres Erfolges als Schriftstellerin im und am Leben zu leiden hatte. Da sehen wir eine Frau, die sich gegen das gesellschaftliche Korsett ihrer Zeit stellte und als Frau versuchte, eigenständig im Leben zu stehen. Dass sie irgendwie daran zerbrach, dass es kein Happy End gab, macht das Ganze nur noch dramatischer.

 

Sie hatte ein Leben mit Dornen, wie sie schreibt und Tanja gleich singt, fühlte sich ausgedörrt wie ein Fluss ohne Wasser, stand einsam in dunkler Nacht. Wenn wir uns in diese Frau hineinfühlen, dann wird die Sehnsucht nach einem Menschen, der sie küsst, nicht als Sexualobjekt, sondern küsst als Ausdruck von Liebe, der sie küsst und sie fest und sicher hält, der sie küsst und in ihrer Not zu ihr hält, sofort nachvollziehbar. Ich brauche nichts mehr weiter erklären. Das wenige reicht schon, zu verstehen. 

 

Märchen, Mythen, Symbole … 

Vielleicht merken Sie, dass sich durch viele Stücke des heutigen Abends dramatische zwischenmenschliche Zustände ziehen. Und vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass ganz viele Märchen den Ausgangspunkt bilden.

 

Wer mich kennt, weiß ja, dass ich Märchen, echte Märchen, absolut schätze, weil sie tiefe Wahrheiten enthalten, und weil diese Wahrheiten nicht rational, nicht wissenschaftlich, vernunftgeleitet, objektiv ausgedrückt werden können. Wenn es um das Sehnen, Fühlen und Hoffen geht, braucht man Bilder, Symbole, Mythen, legenden und Märchen. Und ich darf an dieser Stelle noch einfügen: Der Kultfilm „Die drei Haselnüsse“ ist völlig stimmig der Kultfilm der Weihnachtszeit, weil es auch da - in der Weihnachtsgeschichte - um die Dramatik menschlichen Leidens, um die Dramatik eines menschlichen Lebens, das am Kreuz endet und in die Auferstehung mündet, geht.

 

Weihnachten, Geburtsgeschichte Jesu, ganz Mensch werden …

Von Kreuz und Auferstehung her ist die Geburtsgeschichte Jesu komponiert. Und wieviel an dieser Geburtsgeschichte Jesu historisch ist, tritt in den Hintergrund. Dass sie an vielen Stellen kein historisches Dokument ist, haben christliche Bibelforscher – ohne Zutun irgendwelcher atheistischer oder säkularisierter Zeitgenossen - seit Ende des 18. Jahrhunderts immer klarer herausgearbeitet. Die Geburtsgeschichte Jesu, wie sie bei Lukas, aber auch bei Matthäus beschrieben wird, ist die Einkleidung theologischer Glaubensinhalte von der Kreuzigung und Auferstehung Jesu her, wie sie in den damaligen Gemeinden lebten. Ihr unaufgebbarer Wert für uns heute liegt darin, dass diese Gemeinden keinen Unterschied zwischen den Gebildeten und Ungebildeten, zwischen Reichen und Armen, zwischen der sozialen Oberschicht und den Unterschichten gemacht haben. Und diese Haltung ist durch das Leben Jesu abgedeckt! 

 

Die Menschwerdung Gottes, die sich vor 2000 Jahren in Jesus vollzog, gilt allen Menschen und soll allen helfen, ganz Mensch zu werden. Wenn das in uns geschieht, wenn Gott so in unseren Herzen ankommt,

- dann ist Advent in uns angebrochen,

- dann ereignet sich Weihnachten,

- dann ereignet sich die Gottesgeburt in uns.

Küss mich, halt mich, lieb mich!

 

 

 

Eingestellt 190101

Aktualisiert: 

© Dr. W. Kornder